Herrschende Islamapologetik und antiislamische Rechtskräfte. Eine fatale Synthese(1)

Seit den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 haben sich in Europa und auch in Deutschland politische Kräfte herausgebildet, die ihre grundsätzlich fremdenfeindliche, völkisch-nationalistische und wohlstandschauvinistische Grundposition angesichts des Vormarsches der ja tatsächlich kritikwürdigen Ausbreitung der islamischen Herrschaftskultur bestätigt sehen. In dem Maße, wie sowohl die spätkapitalistischen Herrschaftsträger als auch große Teile der deformierten postrealsozialistischen Restlinken den reaktionären Islam verteidigen, vermag sich diese antiislamische Rechte demgegenüber als „wahre Opposition“ zu aufzuspielen. Dass nun aber ausgerechnet rechte Kräfte den Islam attackieren, verführt wiederum Viele dazu, sich passiv zu verhalten, obwohl der orthodoxe Mehrheitsislam seinerseits eine extrem autoritäre, reaktionäre und menschenrechtsfeindliche Erscheinung darstellt.

Um aus dieser ebenso misslichen wie fatalen Double-bind-Falle herauszukommen, ist es absolut not-wendig, dass sich eine dritte Kraft etabliert, die sich auf der Basis eines fortschrittlich-emanzipatorischen und demokratisch-menschenrechtlichen Grundkonsenses gleichermaßen sowohl gegen die herrschende Islamapologetik als auch gegen die rechte Anti-Muslim-Propaganda wendet und eine echte Alternative bildet.

Ein zentrales Ziel der GAM ist es, die Herausbildung dieser dringend benötigten dritten Kraft zu fördern.

Was waren nun aber im Einzelnen die Hauptursachen für den Auftrieb der „antiislamischen“ Rechtskräfte?

1) An erster Stelle ist hier der überwiegend verharmlosende, schönfärbende, Tabus setzende und zerredende Kommentar- und Diskussionsstil in den Medien anzuführen, der die übermittelte Nachrichtenlage desartikuliert und zum anderen den Alltagserfahrungen großer Bevölkerungsteile widerspricht. Immer wieder werden zwei Standardlegenden strapaziert: a) die falsche Entgegensetzung „Guter Islam/böser Islamismus“ und b) die absurde Behauptung, der Islam sei generell friedlich und tolerant. Zudem werden beständig ‚Islam’ und ‚Muslime’ durcheinander gebracht und auf diese Weise große Verwirrung gestiftet.

2) In engem Zusammenhang damit steht die parteiübergreifende proislamische Erfüllungspraxis der politischen Klasse, wie sie paradigmatisch in der staatlichen Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz, der Orientierung auf einen flächendeckenden konfessionellen Islamunterricht unter Einbindung konservativer Islamverbände, der staatlichen Finanzierung islamischer Theologiezentren an deutschen Universitäten, der staatlichen Förderung von Imamausbildung etc. zum Ausdruck kommt. Auf der einen Seite gibt es eine zunehmende Verdichtung beim Vormarsch der islamischen Herrschaftskultur: Wort zum Freitag, islamische Gräberfelder, flächendeckende Islamisierung des Bildungssystems, wachsender Moscheebau, das Begehren nach Kopftüchern im öffentlichen Dienst, selbstbewusste Verteidigung der mitgebrachten menschenrechtsfeindlichen Kultur der Ehre, die Ehrenmörder moralisch freispricht etc. Andererseits ist fortschrittlich-demokratische Islamkritik im öffentlich-parteipolitischen Raum bislang nicht präsent. Das schafft Unmut und Besorgnis, die keine angemessene Repräsentanz im Rahmen des postdemokratischen politischen Systems und dem in weiten Teilen gleichgeschalteten oligopolistischen Mediensektor findet.

3) Obendrein werden islamkritische Äußerungen ins politisch inkorrekte Abseits gerückt und per se als „fremdenfeindlich“, „islamophob“, „rassistisch“ verleumdet. Unter dem Vorwand „antifaschistischen“ Agierens werden faschistoide Diffamierungs- und Stigmatisierungsmethoden angewandt. Das verschärft den Unmut und fördert die Hinwendung zu populistischen „Protestparteien“. Da die „Linken“ - übrigens bei absolutem Verrat der Marxschen Theorie - oftmals die schärfsten Islamverteidiger sind, schafft und bestärkt das zudem starke antilinke Grundstimmungen außerhalb des Hartz-IV-Lagers.

Es sind also die vorherrschende politische und mediale Verharmlosung des Islam sowie die Diffamierung von begründeter Islamkritik, die den Rechtskräften Auftrieb und Bewegungsspielraum verschaffen.

Den rechten Kräften der Pro-Bewegung, den ultrakonservativen Wutbürgern etc. selbst geht es freilich gar nicht darum, die menschenrechtswidrigen, antidemokratischen und reaktionär-patriarchalischen Grundinhalte und Praktiken des Islam anzuprangern, sondern darum, Einwanderer aus der Türkei, dem Iran und arabischen Ländern, darunter zahlreiche islamgeschädigte Menschen und islamkritische Oppositionelle, pauschal als „Bedrohung“ zu stigmatisieren. Anti-Islam-Propaganda dient hier zum einen als demagogischer Rauchvorhang für nationalistische Verteidigung des deutschen Stammesbiets und zum anderen als schlichtes Mittel der populistischen Ausbeutung begründeter islamkritischer Stimmungen innerhalb der einheimischen Bevölkerung. Worum es den rechten Kräften der Pro-Bewegung freilich wirklich geht, spricht einer ihrer Anführer klar aus: „Das überregionale Medieninteresse wird gewaltig sein - und mit dem Schub werden wir unmittelbar in den Vorwahlkampf für die Kommunalwahlen 2009 einsteigen“ (Schurian 2008).

Im Verborgenen bleibt dabei die tiefe weltanschaulich-politische Wesensverwandtschaft zwischen einheimischen Rechtskräften und islamischer Orthodoxie auf den zentralen Gebieten:

- autoritärer Kollektivismus

- reaktionär-patriarchalische Familienmoral

- religiöse Werteerziehung

- Hass auf das aufgeklärte und emanzipierte Individuum sowie die freie Vergesellschaftung mündiger Bürger und nicht zuletzt

- Judenfeindschaft.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein islampolitischer Grundsatzartikel in der „Jungen Freiheit“ vom 11.4.08, S. 22 (Alle folgenden Hervorhebungen sind nachträglich eingefügt):

„Der Gesellschaftsvertrag verleiht den Völkern des Abendlandes das moralische Recht, von neuen Mitbewohnern ein hohes Maß an kultureller Anpassung zu verlangen. Scheinbar konsequent fordern prinzipientreue Konservative denn auch die Assimilation aller Zuwanderer. Obwohl ihre Motive löblich sind, verlieren sie die pluralistische Struktur postmoderner Gesellschaften aus dem Blick. Wo gibt es außerhalb Bayerns, Baden-Württembergs und Österreichs jenes stabile christlich-konservative Wertegerüst, jene allgegenwärtige traditionelle Leitkultur, die eine systematische Assimilation junger Muslime erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen würde?“

Die normative und wertmäßige Basis der Integration ist hier also nicht

a) das Konzept des freien, vernunftbegabten, mündigen Individuums im Sinne des bürgerlich-revolutionären Aufklärungshumanismus,

b) das Prinzip der Menschenrechte und

c) das Leitmodell einer säkular-demokratischen und sozial gerechten Gesellschaftsordnung.

Die Basis dieses rechtskonservativ-autoritären Integrationsmodells ist vielmehr

a) ein völkisch-abendländisches Konzept im Sinnes eines national-homogenen, hierarchisch gegliederten Kollektivs, in dessen angestammte Traditionskultur sich der Einzelne (und somit auch der Zuwanderer) gehorsam einzufügen hat,

b) ein christlich-konservatives Wertegerüst - im Gegensatz zu einem islamisch-orthodoxen Wertegerüst - als konservativ-herrschaftskulturelles Gegen- bzw. Konkurrenzmodell, und

c) eine traditionelle Leitkultur in Form einer deutsch-nationalen Ausprägung des christlich-abendländischen Wertegerüsts als Basis für eine „systematische Assimilation“ muslimischer Zuwanderer.

Die jungen Muslime sollen folglich nicht etwa Menschenrechtsbildung und interkulturelle Religionskunde statt Islamunterricht genießen, sondern zu nationalkonservativen deutschen Christen umerzogen werden. Sie sollen keine freien, selbstbestimmungsfähigen (mündigen) und womöglich religionskritische Bürger werden, sondern den Koran gegen die Bibel eintauschen, nicht freitags in die Moschee gehen, sondern - wie im katholischen Oberbayern und im ländlichen Österreich üblich - am Sonntag in die Kirche marschieren und sich an Prozessionsumzügen und Trachtenaufmärschen beteiligen und überhaupt die komplette konservativ-christlich-nationalistische Leitkultur verinnerlichen, wie sie in den genannten Gebieten angeblich noch „allgegenwärtig“ ist. Aus Koranschülern sollen Messdiener werden, aus „Grauen Wölfen“ stramme Burschenschaftler und deutsch-nationalistische Bannerträger etc.

Weiter heißt es in dem zitierten Artikel:

„Zwar kommt Hoffnung auf, wenn muslimische Frauen ihr Kopftuch ablegen ... Aber gäbe es auch einen Grund zur Freude, wenn sie sich für Gender Mainstreaming, ‚ein Recht auf Abtreibung’ oder andere Dekadenzerscheinungen des Egalitärfeminismus begeistern würden? Und was bedeutet Assimilation für das Geschichtsbild junger Türken - eine trotz Aufarbeitung nationalsozialistischer Schandtaten ungebrochene Liebe zum neuen Vaterland oder manisches Beharren auf eine ‚immerwährenden (kollektiven) Verantwortung’, deren politischer Sinn auch darin liegen dürfte, durch die Hintertür abwegige Kollektivschuldtheorien zu etablieren? Wer von Immigranten Assimilation im Sinne völliger Anpassung fordert, muß ein ungeschminktes Bild von Staat und Gesellschaft zeichnen; und dieses wird zu einem maßgebenden Teil von Vulgärfeminismus, demokratiewidrigem Internationalismus, deutschallergischer Geschichtspolitik und leistungsfeindlicher Umverteilungsideologie bestimmt. Wo ‚Leitkultur’ sich in konsumierendem Freizeitverhalten, deutsch-englischen Sprachmixturen oder der Lektüre einiger Grundgesetzartikel erschöpft, wird Assimilation zur relativistischen Leerformel.“

Hierzu ist nun Folgendes festzustellen:

1) Die Dämonisierung des „Rechts auf Abtreibung“ ist - neben dem Affekt gegen die „Homoehe“ - ein wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen „Wertebasis“ von orthodoxen Muslime, strengen Christen und deutschen/europäischen (patriarchalischen) Reaktionären, die auf dem Gebiet einer repressiv-scheinheiligen Sexual- und Sittenmoral immer schon ein informelles Bündnis bilden wie die Neonazis und die Islamisten auf dem Gebiet des eliminatorischen Judenhasses.

2) Sehr deutlich kommt im Zitat die geschichtsrevisionistische Ideologie der „neuen Rechten“ zum Ausdruck, die nicht mehr primitiv den Nationalsozialismus verherrlicht, sondern diesen zum zufälligen Betriebsunfall der Geschichte verklärt und damit seine herrschaftskulturelle Verankerung in der reaktionären deutschen Sozial- und Geistesgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (bis 1933) entsorgt. (Zum Beispiel: Jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur.) Nur so kann man eine durch und durch „ungebrochene Liebe“ zum deutschen „Vaterland“ inszenieren und die zwischen 1914 bis 1945 erfolgte Massendurchseuchung der deutschen Mehrheitsbevölkerung mit reaktionär-antihumanistischer Ideologie und die damit verbundene regressiv-barbarische Verhaltens- und Bewusstseinsformierung demagogisch als „abwegige Kollektivschuldtheorie“ in Abrede stellen oder als „deutschallergische Geschichtspolitik“ verunglimpfen.

3) Zu guter Letzt wird noch der vulgäre Stammtischnationalismus angerufen, indem die durch musikkulturelle und technologische Globalisierungsprozesse spontan erfolgende Aufnahme von englischen Ausdrücken gleich als ein Anzeichen von Leitkulturverfall beschworen und gleichzeitig konsumierendes Freizeitverhalten nicht kritisch-analytisch (als ein funktional-notwendiges Wesenmerkmal des überproduktiven Spätkapitalismus), sondern rückschrittlich-verfallspessimistisch - ganz im Stile des islamischen Kampfes gegen gottlosen Hedonismus und Materialismus - angeprangert wird. Völlig verkannt wird schließlich der zentrale Umstand, dass es integrationspolitisch natürlich nicht um die Lektüre einiger Grundgesetzartikel, aber auch nicht um die Assimilation der Zuwanderer an eine festgefügt-starre deutsch-konservative Massenkultur gehen kann, sondern um die Anforderung, den zugrunde liegenden aufkärungshumanistisch-emanzipatorischen „Geist“ der Grund- und Menschenrechte adäquat zu vermitteln und die Einhaltung der daraus hervorgehenden Normen eindeutig und kompromisslos einzufordern.

4) Aufschlussreich ist auch, dass der deutsche Staat und die deutsche Gegenwartsgesellschaft nicht etwa durch neoliberal-kapitalistische Deregulierung, Massenarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Korruption, Wirtschaftsverbrechen und Steuerhinterziehung der ökonomischen Elite, wachsende Problemlösungsunfähigkeit der politischen Klasse, Kollaboration der westlichen Herrschaftselite mit den Trägern der nichtwestlichen Herrschaftskulturen, Bildungsverfall, Politik- und Staatsverdrossenheit der Bevölkerungsmehrheit etc. gekennzeichnet wird, sondern ausgerechnet durch Vulgärfeminismus und demokratiewidrigen Internationalismus (nach dem sozialchauvinistischen Motto: Warum sollen wir fremden Völkern Entwicklungshilfe gewähren?)

Genau so, wie wir uns vom Proislamismus der poststalinistischen und kulturrelativistischen Linken abgrenzen müssen (wenn wir als fortschrittlich-demokratisches Bündnis der Islamkritik Erfolg haben wollen), so müssen wir uns auch von jenen vordergründig islamkritischen Kräften abgrenzen, die „Islamkritik“ nur als trojanisches Pferd für die Verbreitung und Stabilisierung rechtskonservativer bis rechtsextremistischer Ideologeme und entsprechender regressiv-reaktionärer Orientierungs- und Bewertungsmuster benutzen.

Zwischen diesem rechten Assimilationskonzept und dem aufklärungshumanistisch-menschenrechtlichen Programm, wie es auf der Kritischen Islamkonferenz verabschiedet wurde, besteht folglich ein tiefer Graben, über den keine Brücke führt. Der Aufmarsch der rechten Anti-Islamkräfte schadet dem Anliegen der fortschrittlichen Islamkritik, denn er liefert der Front der Islamverteidiger das willkommene (und womöglich herbeimanipulierte) Alibi, um Islamkritik per se in die rechte Schmuddelecke zu stellen und sich öffentlichkeitswirksam in der eigenen proislamischen und damit angeblich „antirassistischen“ Gutmenschlichkeit zu sonnen. Nutznießer dieser Kollision rechter Anti-Islam-Propaganda und einseitig „antirassistisch“-proislamischer“ Gegenreaktion sind somit in jedem Fall die Vorreiter der islamischen Herrschaftskultur, also die Vertreter des zugewanderten muslimischen Rechtsextremismus.

 

1. Bei diesem Text handelt es sich um einen überarbeiteten Auszug aus

Hartmut Krauss: Emanzipatorische Islamkritik contra rechtspopulistische Fremdenfeindlichkeit und reaktionäre Islamverteidigung. Plädoyer für eine dritte Kraft.

http://www.hintergrund-verlag.de/texte-islam-plaedoyer-fuer-eine-dritte-kraft.html


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